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The perfect touch - Wie wird man eigentlich ein guter Therapeut?

Von der Kunst ein guter Therapeut zu sein.

 

Es ist das Jahr 2006. Das steh ich nun. In einer engen Kabine mit kleinem Dachfenster und gelb gestrichenen Wänden. In der  Mitte sehe ich eine, mit blauem Spannlaken bezogene, Behandlungsbank. Das ist also mein erster Arbeitsplatz. Ich bin voll motiviert. Mit einem 1,0 Abschluss in der Tasche will ich der Welt beweisen, wie gut ich bin. Meine erste Patientin, eine Frau mittleren Alters, mit kurzen, aschblonden Haaren und müden Augen, steht in Unterwäsche vor mir. "Wie kann ich Ihnen helfen?" höre ich  mich sagen. Ein kurzes Achselzucken verriet mir, dass sie nicht recht wusste, wie ihr zu helfen sei. "Ich habe Schmerzen. Hier hinten links. Bitte machen sie das weg!" Ich schaue aufs Rezept. ISG Syndrom. Kein Problem. Ich spule in meinem Hirn alle Tests ab, die ich in der Schule gelernt hab. Ich teste alles aus. Vorlauf, Rücklauf. Im Stehen, im Sitzen. Mal vorbeugen, mal zurückbeugen bitte. Ich biege und drehe und knete an meiner Patientin herum, deren Blick sich langsam Richtung Zimmerdecke verabschiedet.... 

 

Also, in der Schule ging das irgendwie leichter. Einfach mal weiter machen. Meine Finger bekommen kein Feedback. Der Körper der Frau ist mir fremd. Ich komm mir vor wie eine Anfängerin. Ich fange an zu schwitzen.  Ich gucke auf die Uhr. Erst 3 Minuten rum. Wie soll das nur weitergehen? Ich weiß jetzt schon nicht mehr, was ich noch machen soll. Ich habe keine Ahnung, wie ich der Frau helfen soll. Ich bin blind. Ich soll da irgendwas wegmachen, was ich ja gar nicht dorthin gemacht habe. In den ausdruckslosen Augen der Patientin sehe ich, dass sie mit ihren Gedanken ganz wo anders ist. Wahrscheinlich am Meer. Um ihre Mithilfe kann ich also auch nicht bitten. Ich will jetzt auch gerne am Meer sein. Am Strand. Mit einem Caipi in der Hand dämlich grinsend hübschen Männern hinterher schauen.

 

Aber nein,  ich bin ja in diesem verdammten Therapiezimmer. Mein Rücken ist verkrampft. Meine Hände  sind klatschnass. Ich fühle mich von meiner 1,0 im Stich gelassen. Die haben mich bei der Notenvergabe bestimmt verwechselt! Am liebsten würde ich auf den Flur rennen und mit einer Mischung aus Verwirrung, Wut und Verzweiflung die ganze Anspannung aus mir herausbrüllen. So hatte ich mir meinen ersten Arbeitstag aber nicht vorgestellt.

 

Die Schmerzen meiner Patientin sind natürlich noch genauso, wie vor der Behandlung. Die Augen der Frau noch eine Spur trauriger. Nichts hatte sich verändert. Obwohl ich 20 Minuten richtig geackert hatte. Ich fühle mich schlecht und ausgelaugt. Meine Energiereserven für den Tag sind aufgebraucht. Ich bin fertig. Irgendwas lief da falsch. Nur was? Fragte ich Kollegen, bekam ich nur ein Achselzucken als Antwort. Damit müsse ich mich arrangieren. Das sei Praxisalltag. Ich würde mich schon dran gewöhnen. Aber wollte ich das?

 

Ich hatte die Lizenz zum Berühren in der Tasche und konnte es am echten Patienten offensichtlich nicht.

 

Diese aller ersten 20 Minuten, ganz am Anfang meiner Berufskarriere  als Physiotherapeutin, waren ein wichtiges Schlüsselerlebnis für mich. Ich hatte die offizielle Lizenz zum Berühren in der Taschen, und konnte es in der Praxis, am echten Patienten, nicht umsetzen. Ich hatte den Touch verloren. Hatte ich ihn überhaupt schon mal besessen? Ich musste mir schleunigst etwas einfallen lassen. Ich hatte Sorge, mein ganzes Leben lang, an einer leblosen Körpermasse herum kneten zu müssen. Ich wollte mich nicht daran gewöhnen. Ich wollte, dass meine Arbeit eine Wirkung hat. Ich wollte, dass meine Patienten mit ihren Gedanken im Hier und Jetzt sind. Mit mir im Kontakt. Ich wollte, dass diese 20 Minuten zu etwas kostbaren werden.

 

Aber, wie macht man das? Wie wird man ein richtig guter Therapeut? Ich war darauf getrimmt körperliche Probleme zu lösen und nicht lange zu reden. Ich bin ja keinen Psychologin. Da führt man Gespräche. Ich bin Physiotherapeutin. Da repariert man Körper. Wie das klingt! Ich hatte etwas ganz gehörig missverstanden. 

 

Mir fehlten grundlegende Fähigkeiten, um einen Menschen wirklich berühren zu können:

 

1. Die Fähigkeit eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen.

 

2. Die Fähigkeit, aus einer Technik eine Berührung werden zu lassen.

 

3. Die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit in den Körper zu lenken und dort zu halten

 

 Schließlich fand ich, wonach ich suchte. Mir wurde klar, dass das  Erlernen dieser "Softskills" den Rahmen einer jeden Physiotherapieschule sprengen würde.

 

Ob eine Therapie gut wird oder nicht hat weniger mit Technik zu tun, als mit mir selbst.

 

In dieser Fortbildung fand ich heraus, dass das Gelingen von Therapie viel mehr mit mir zu tun hatte, als ich das dachte. Ich hatte Angst davor Nähe herzustellen. Nähe bedeutete für mich Stress. Nähe barg die Gefahr der Ablehnung. Dieses Risiko musste ich eingehen, wenn ich eine gute Therapeutin werden wollte. Ich stellte meine Glaubenssätze auf den Kopf und übte, mich auf einen Patienten einzulassen.

 

Ich übte auch eine Berührungsqualität zu beherrschen, die zunächst einmal absichtslos ist. Eine Berührung, die der Melodie des Körpers zuhört. Nichts will. Was für eine Genugtuung für meine Seele und wie fremd für meine physiotherapeutischen Hände, die so darauf geschult waren, zu korrigieren oder etwas gleich weg machen zu wollen.

 

Ich lernte unterschiedlichste Menschen und Charaktertypen mit den richtigen Worten abzuholen. Ich lernte die feinen Signale des Nervensystems im Körper zu lesen. Ich lernte einen Körper zu berühren, dass er sich sicher und geborgen fühlt. Ich lernte, die Aufmerksamkeit immer wieder in den Körper zu lenken, denn dort spielt schließlich die Musik und nicht an der Zimmerdecke.

 

Der richtige Touch hängt also davon ab, in wie weit ich es schaffe, eine sichere Verbindung zu meinen Patienten aufzubauen. Es ist eine Mischung aus Technik, Berührung, Vertrauen, Humor und Gespräch. Ein bisschen Physio und ein bisschen Psycho eben - dann wird Therapie lebendig und macht Spaß. 

 

So werden selbst 20 Minuten zu magischen Momenten, in denen Wunder geschehen können. Daran und an nichts Anderes wollte ich mich gewöhnen.

 

 

Herzlich Larissa

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Manfred (Sonntag, 16 Dezember 2018)

    Die Schule gibt Wissen und Werkzeug. Was jeder Einzelne daraus macht, ist im Berufpraxis sehr verschieden.
    Niemand kann Dich beurteilen, ob Du ein guter Therapeut bist. Nur Du selber für Dich.

  • #2

    Olivia May (Sonntag, 17 November 2019 12:38)

    Der beste Artikel den ich in 16 Jahren als Physiotherapeutin gelesen habe. Du hast es echt geschafft. Hammer.hammer dankeschön

  • #3

    Faszienatelier (Donnerstag, 21 November 2019 15:05)

    Hallo Olivia, vielen Dank für dieses große Kompliment! Das freut mich rießig!!