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Wie entsteht eine Kniearthrose? Wenn das Knie die Faxen dicke hat und streikt

Selbst im Körper herrscht nicht immer Eintracht. Da weiß das eine Gelenk nicht, was das andere tut, und das, was das andere tut, ist sowieso immer falsch. Anhand eines aktuellen Fallbeispiels finde ich heraus, wie sich so ein Konflikt als Kniearthrose im Körper zeigen kann, und was man in der Therapie machen kann, damit es wieder rund läuft in der Beziehung.

Neulich hatte ich ein Aha- Erlebnis.  Eine Kniearthrose kann durch eine Fehlstellung der Brust- und Halswirbelsäule entstehen. Ich weiß ja, dass alles im Körper miteinander verbunden ist. Doch da ich es ganz zufällig entdeckt habe,  fühlt  es sich für mich so an, als ob ich eine Landschaft, die  bisher nur verschwommen in meinem Kopf existierte, zum ersten Mal mit klaren Augen gesehen habe. Ich staune über den unermesslichen Einfallsreichtum der menschlichen Natur.

 

Mein Klient kam zu mir, mit einer klassischen Arthrose im rechten Kniegelenk. Er berichtete von Anlaufschmerzen, Druckgefühl  und Schmerzen bei längeren Gehstrecken. Er berichtete auch, dass sich das Gelenk instabil anfühlt.

Auf den Röntgenbildern, die er mir zeigte, konnte ich einen deutlich verschmälerten Gelenkspalt auf der Innenseite erkennen. Durch ungünstige  Druckbelastung hat sich hier schon der Knorpel erheblich zurückgebildet.  Die Gelenksaußenseite stand weit offen. Fast, als ob sie zu viel Spiel hätte.

 

So ein Kniegelenk ist instabil. Man kann das in etwa damit vergleichen, wenn man versucht zwei Bauklötzchen aufeinander zu stapeln. In unserem Fall versucht man allerdings nur eine Ecke des oberen Klötzchens auf die untere rechte Fläche zu setzen. Dass das nicht halten kann ist nicht weiter verwunderlich. Der obere Klotz fällt sofort herunter.

 

Damit das nicht mit unserem Kniegelenk passiert, hat der Körper für solche Fälle einen Notfallplan parat.  Er baut eine sehr straffe  Kapsel-  und Muskelbandage um das Kniegelenk herum, um es zu stützen.

Diese fasziale Bandage hat einen hohen Preis.  Durch diese "Verpanzerung" werden die Muskeln unbeweglich und  das Gelenk steif. Dem Gelenk fehlt im wahrsten Sinne die Luft zum Atmen. Es verliert sein Spiel. Es fängt an leblos zu werden. Die Gelenkrezeptoren werden müde. Es wird unleidig und beginnt zu maulen. Das  Laufen auf unebenem Untergrund wird zum Balanceakt.  Anlaufschmerzen und Ruheschmerzen nehmen zu. Das Nervensystem ist in Aufruhr. Es befürchtet den Zusammenbruch des Körpers bei jedem Schritt. Es ruft nach Hilfe und Unterstützung.

 

Der 1. Versuch scheiterte:

Ich versuchte in unserer 1. Sitzung ganz klassisch am faszialen Muskelpanzer des großen Oberschenkelmuskels (M. Quadrizeps) zu arbeiten. Dadurch haben wir erreicht, dass sich das Knie bei Belastung etwas leichter und etwas beweglicher anfühlte. Ich arbeitete weiter an den knieumgreifenden Strukturen um diese aus ihrer Spannung zu lösen. Und dann hatte ich mit einem Schlag kein gutes Gefühl mehr dabei. Mein Klient berichtete auch,  je länger wir daran arbeiteten, dass die Leichtigkeit wieder verschwände.

 

Irgendwie klar! Auf was kann sich der Körper noch verlassen, wenn ich ihm die einzige Versicherung wegnehme, die er sich im Lauf der Zeit aufgebaut hat?

Es musste eine andere Lösung geben.  Eine, auf die sich der Körper einlassen kann.

 

Beim erneuten Körperlesen fiel mir auf, dass mein Klient eine kyphotische Brustwirbelsäule hatte. Die oberen Brustwirbel  zeigten eine deutliche Krümmung und der Kopf stand weit vor den Schultern. Die Schultern waren Richtung Ohren gezogen und wirkten,  als ob sie sich nach mehr Platz und Entlastung sehnten. Ich sah das zwar, konnte mir aber im ersten Moment keinen Reim daraus machen,  inwiefern das mit dem Knie zusammen hängt.

Ich bat darum Fotos von allen Seiten des Körpers machen zu dürfen, um diese dann in aller Ruhe zu studieren und die Statik genau unter die Lupe zu nehmen.

 

Komischerweise fiel mir an der Statik der Beine keine auffällige Besonderheit auf. Ich konnte keine Achsenfehlstellungen oder Verdrehungen erkennen, die eine derartige Abnützung des Gelenks begründet hätten. Hätte ich die Röntgenbilder nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass dort eine fortschreitende Arthrose zugange war.

 

Als ich später an meinem Schreibtisch saß zeichnete ich die Form des Körpers nach. Dann nahm ich Geodreieck und Bleistift zur Hand und fing an im  Körper  waagrechte und horizontale Linien einzuzeichnen.  Durch meine künstlerischen  und anatomischen Kenntnisse  weiß ich, welche Körperteile  in welchem Verhältnis zueinander stehen müssen,  damit  sich ein harmonisches Gesamtbild ergibt.

 

Erstaunlicherweise wurden meine waagrechten Linien nach oben hin  immer schiefer und fanden schließlich die Krönung im Übergang Halswirbelsäule/Brustwirbelsäule.

 

Ich wurde neugierig und zeichnete ein Lot, das vom Scheitel bis zum Boden verläuft. Und hier machte ich eine ganz simple aber erhellende Entdeckung:

Das Lot, das normalerweise vom Scheitel durch die Wirbelsäule verläuft und schließlich zwischen den beiden großen Zehen den Boden berührt, lief bei  meinem Klienten ganz klar durch die rechte mediale Beinachse, und traf auf Höhe der rechten großen Zeh auf den Boden.

 

Das ganze Gewicht ruht also auf  der rechten  Beininnenseite! Die Ursache für das verschobene Lot kommt aus der Verkrümmung der Brustwirbelsäule und einer nach vorne geschobenen und rotierten Halswirbelsäule. Das Knie badet sozusagen die "Spirenzchen" der oberen Wirbelsäule  aus.

 

Der Schultergürtel wiederum tut sein Bestes um das Knie zu entlasten, indem er sich ebenfalls "fest" macht, zusammenschürt und dadruch die Schultern hebt. Ein Teufelskreis entsteht.

 

Jetzt könnte man sich fragen, wo fängt man denn da am besten an? Logisch erscheint mir zu nächst einmal die Brustwirbelsäule zu befreien um das Knie von oben her zu entlasten.

 

Jetzt musste nur noch mein Klient mitmachen.

 

Ich zeigte ihm die Bilder und berichtete von meinen Erkenntnissen. Er war  beeindruckt. Ihm war seine Körperhaltung noch gar nicht bewusst gewesen und fand es logisch, dass es Sinn macht nicht nur am Knie, sondern an den Verkürzungen im Schultergürtel zu arbeiten.

 

Die 2. Sitzung begannen wir also damit, den Schultergürtel aus seiner Verpanzerung zu holen damit sich die Wirbelsäule etwas mehr aufrichten kann. Ich arbeitete an der Brustmuskulatur, an den Schulterblatt- und Armmuskeln. Hier hatte ich den Eindruck , dass sich der Körper freut ein Stückchen mehr Freiheit zu bekommen. Danach hatte mein Klient das Gefühl, jetzt ausgewogener auf beiden Beinen zu stehen. Er bekam ein erstes Gespür für die Aufrichtung im Brustkorb. Dadurch wurde das Knie entlastet und bekam mehr Stabilität.

Das zeigte uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

 

Die 3. Sitzung werde ich wieder am Knie und auch am Fuß arbeite, und mal testen in wie weit sie bereit sind, jetzt  die Spannung zu regulieren.

 

Ich bin sehr neugierig, wie sich die Situation weiter enwickelt, und welche Strategien wir finden, um die beide Streithäne miteinader zu versöhnen.

 

Ich wollte diese Sitzung so gerne festhalten und teilen, weil sie drei Botschaften für mich bereit hielt.

 

1. Verstehen kommt durch "Begreifen".

Ich bin ein haptischer Mensch. Ich muss Dinge anfassen um sie zu verstehen. Wenn ich sie nicht mit meinen Händen fühlen kann, erschließe ich sie mir übers Zeichnen. So als ob die Information durch meine Hand in mein Gehirn fließt und  ich dadurch ein klareres Bild für die Themen bekomme.

 

2. Sehen braucht Zeit. 

"Sag mir was ich hab" ist ein großer, verständlicher Wunsch meiner Klienten.  Und auch ich wünschte, ich könnte mit einer kurzen Blick- und Funktionsdiagnostik sagen, wo der Schuh drückt. Meine Erfahrung zeigt, dass es schier unmöglich ist, einen Körper in der allerersten Sitzung gleich bis ins letzte Detail verstehen zu wollen. In der ersten Behandlung, gibt es so viele andere Dinge die beachtet werden wollen, dass das Sehen zu kurz kommt. Um eine genaue Analyse der Statik zu machen,  ist es also wirklich sehr hilfreich mit Fotos zu arbeiten. So lässt sich auch ein Entwicklungsrpozess dokumentieren. 

 

3. Eine gute Zusammenarbeit ist wie das Salz in der Suppe.

Wie unglaublich hilfreich ist es, wenn man seinen Klienten in seine Pläne einweiht und er sie nachvollziehen kann. Dann entsteht etwas, dass ich Flow nenne. Ein Miteinander, ein Ausprobieren, eine kreative, schöpferische Arbeit.

 

Dann kann eine langweilige Kniearthrose  sogar auf einmal Geschichte schreiben.

 

Ich bin gespannt wie die Reise weiter geht.

 

Bleib achtsam!

 

Herzlich Larissa

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